Alte Gemüsesorten vermarkten

Alte Gemüsesorten eignen sich nicht immer für den Detailhandel. Doch das Potenzial für andere Vermarktungskanäle wie Direktvermarktung und Gastronomie ist gross. Bis es aber soweit ist, braucht es viel Vorbereitungsarbeit.

Degustation alter Gemüsesorten

Roter Mangold im Versuchsanbau

In Kürze
Um alte Gemüsesorten nachhaltig zu retten, gibt es für ProSpecieRara nur eines: Sie müssen produziert und verwendet werden. Viele rare Sorten schaffen es aber nicht in die Massenproduktion. Die Ansprüche des Detailhandels an Lager- und Transportfähigkeit, Erntequantität, Aussehen und ähnliche Kriterien sind enorm. Alte Sorten haben aber dank ihrem speziellen Charakter oder herausragenden Eigenschaften durchaus Chancen in anderen Bereichen. Zum Beispiel als geschmackvolle Sorten in der Gastronomie oder attraktive Naschsorten im Hausgarten.

Doch bis es soweit ist, braucht es einen langen Atem. Vom Aufspüren einer alten Sorte über deren Anbau, das Degustieren und Einschätzen ihrer Verkaufschancen, die Samenvermehrung und den Versuchsanbau bis zur Etablierung in der Praxis ist es ein langer Weg, der professionelle Begleitung braucht.

Möchten Sie ProSpecieRara dabei unterstützen, für jede Sorte die geeigneten Vermarktungsnischen zu finden? Für die aufwendige Versuchs- und Experimentierarbeit sowie für Saatgutvermehrungen ist finanzielle Unterstützung sehr willkommen.

Den langfristig wichtigsten Beitrag leisten Sie durch gezielte Nachfrage nach alten Sorten, sei es beim Saatguthändler oder der Pflanzenverkäuferin, im Hofladen oder auf dem Wochenmarkt, beim Grossverteiler oder im Bioladen oder beim Besuch Ihres Stammrestaurants.

Ziel dieses ProSpecieRara-Projekts ist es, alte Gemüsesorten durch Nutzung zu erhalten. Dazu muss für Produzenten das entsprechende Saatgut zur Verfügung stehen, Händler und Nutzerinnen müssen die Sorte kennen und gemeinsam am Produktaufbau arbeiten und last but not least müssen diese Sorten verwendet werden.

Besonders in der Testproduktion der ersten Jahre gehen Landwirtinnen und Landwirte mit einer alten, nicht mehr bekannten Sorte ein gewisses Risiko ein. Das Projekt versucht daher auch, den Versuchsanbau finanziell zu unterstützen. Dem vorgelagert erfolgt die Saatgutvermehrung – meist ohne Gewähr auf Saatgutverkäufe – im finanzierten Auftrag.

Mehrstufiges Vorgehen bis zur Produktion und Vermarktung
Der Wiederaufbau von alten Gemüsesorten hat sich über die Jahre hinweg als ein mehrstufiges System herauskristallisiert.

Als erstes werden Sorten im sogenannten Sichtungsanbau auf kleiner Fläche grob zu ihrem Erscheinungsbild eingeschätzt. Haben die Gemüsefrüchte besondere Farben und Formen? Zeichnen sie sich durch spezielle Geschmackseigenschaften aus? Oder gibt es sonst eine Besonderheit, die die Produkte im Verkauf je nach Vermarktungskanal auffallen lässt?

Sorten, die Potenzial zeigen, werden im zweiten Schritt eingehender geprüft. Im sogenannten agronomischen Versuchsanbau werden Ertrag, Effizienz von Pflege und Ernte, Haltbarkeit des Ernteguts und nochmals Geschmackseigenschaften nach wissenschaftlichem Standard erhoben. Idealerweise können hier auch Resistenz bzw. Anfälligkeit auf Krankheiten und Schädlinge erhoben werden.

Als drittes – und in manchen Fällen auch bereits im dritten Jahr seit Testbeginn – werden die vielversprechenden Sorten auf einem Gemüsebetrieb in einer überschaubaren Testmenge produziert. Dieser Testanbau kommt gewissermassen einer zweiten agronomischen Prüfung gleich. Denn nun zeigt sich, ob sich die ersten Resultate auch in Folgejahren wiederholen lassen. Und vor allem wird erst in der Testproduktion in der Praxis ersichtlich, ob die Sorten zum Betrieb, zu Boden, Fruchtfolge, maschineller Einrichtung, Verkaufsstrategie, etc. passen. Bei Erfolg können nun Dutzende bis Hunderte Kilogramm einer Sorte feilgeboten werden. So zeigt sich auch gleich, ob Konsument*innen die Produkte genügend schätzen.

Schliesslich erfolgt in einem vierten Schritt, nach ein bis zwei Testjahren in der Praxis der definitive Entscheid über die feste Aufnahme einer Sorte im Gemüsesortiment der getesteten Verkaufskanäle.

Voraussetzung: Genügend Saatgut
Alte Gemüsesorten, die noch bei Saatgutquellen erhältlich sind, können demgemäss immerhin bereits in vier Jahren wieder erfolgreich angebaut und verkauft werden. Trouvaillen aus der ProSpecieRara-Erhaltung, der Schweizer Genbank oder aus Einsendungen von Privaten sind aber meist nur mit einer Handvoll Saatgut vorhanden. Von solchen Sorten muss zunächst Saatgut aufgebaut werden. Und in nicht wenigen Fällen bedarf es dabei ein bis mehrere Jahre an Selektion des Bestandes, damit das Saatgut den Ansprüchen der Praxis genügt. Je nach Kulturart sind diese ganz unterschiedlich, aber meistens geht es nicht ohne ein gewisses Mindestmass an Gleichmässigkeit der Pflanzen und der Produkte. Beispielsweise wurde 2017 eine unglaublich aromatische, meist milde Paprika entdeckt. Leider zeigte sich im Freilandanbau, dass die Früchte entgegen der Erwartung vereinzelt sehr scharf sein können – die Selektion auf Schärfeausschluss ist hier also zwingend, damit Konsument*innen eine solche Sorte schätzen.

Die Aufbauschritte sind schon über 15 Jahre Bestandteil der Produktentwicklung zusammen mit der Partnerin Coop. Viele Sorten, die für den Grossverteiler nicht in Frage kommen, zeigen Potenzial in anderen Vermarktungsnischen. Rund zweihundert Sorten wurden bisher auch für weitere Vermarktungskanäle eingeschätzt. Ein gezielter Testanbau bei Spezialitätenvermarkten wie z.B. Betriebe auf Basis solidarischer Landwirtschaft, Permakultur, Gemüseabos oder Lieferanten für die Topgastronomie erfolgt ab 2019 in Zusammenarbeit mit ProSpecieRara-Betrieben und mit Unterstützung des Forschungsinstituts für biologischen Landbau FiBLs.

Steckbrief

Förderung über Nutzung/Vermarktung
2015

Alte Gemüsesorten für verschiedene Vermarktungsnischen prüfen und aufbauen

Das Projekt wird mit Unterstützung des Bundesamtes für Landwirtschaft, durch Eigenleistungen von Landwirten und Partnerorganisationen und mit Spendengeldern finanziert

Zu rund 200 alten Gemüsesorten liegen Einschätzungen des Potenzials für verschiedene Vermarktungsnischen vor. Dutzende Sorten sind zudem agronomisch geprüft. Vier Sorten wurden züchterisch bearbeitet, um einen guten Saatgutbestand für die Praxis zu erreichen.

Philipp Holzherr
Bereichsleiter Garten-, Acker- & Zierpflanzen
Telefon +41 61 545 99 23