Fremdbefruchtung ist Trumpf
Die meisten Obstsorten werden nur effizient durch Pollen von anderen Sorten innerhalb derselben botanischen Art befruchtet. Selbstbefruchtung kommt zwar teilweise vor, ist aber eher eine Notlösung. Der Fruchtansatz und die Ausbildung von Samen fallen also am stärksten bei Fremdbestäubung aus. Deshalb wächst bspw. in einer Apfelplantage nie nur eine Apfelsorte – mangels Befruchtung durch andere Sorten wäre der Ertrag zu gering. Dieser automatische Vorzug für eine Durchmischung der Gene durch Neukombination macht Sinn, denn die Varianz innerhalb der Nachkommenschaft sorgt für höhere «Fitness». Die Gene der Eltern haben also mit der nachfolgenden, angepassten Generation eine bessere Überlebenschance. Bei der sexuellen Vermehrung verändern sich die Nachkommen also innerhalb des vorgegebenen Gen-Baukastens der Eltern nach dem Zufallsprinzip. So gleichen die Kinder nie vollständig dem einen oder dem anderen Elternteil. Die meisten Obstsorten sind also nicht samenfest.
Der direkt aus der Befruchtung entstandenen Frucht sieht man dies jedoch nicht an, die Veränderung schlummert nur in den Kernen und käme bei deren Aussaat zum Tragen. Bei der Produktion von Früchten spielt das keine Rolle. Will man die Sorte jedoch gezielt vermehren, also die typischen Eigenschaften beibehalten, kann dies nicht über Samen geschehen. Obstsorten werden deshalb «geklont», also über Reiser, Stecklinge oder Ausläufer vermehrt (mehr dazu siehe hier)
Am Anfang steht der Sämling
Aus der Sicht von Züchter*innen, welche neue Sorte kreieren wollen, ist Fremdbestäubung und Variation bis zu einem gewissen Grad durchaus erwünscht. In der klassischen Züchtung werden oftmals zwei Sorten ganz gezielt verkreuzt. Die in den Früchten der Mutter entstandenen Samen werden dann in grossem Umfang ausgesät. Im Idealfall finden sich unter 1000 Nachkommen ein paar, welche die gewünschten Eigenschaften der Elternsorten vereinen. Die Züchter*innen wählen diese Sämlinge dann aus und geben ihnen einen Arbeitsnamen (z.B. Seedling N°858). Nach weiterer Sichtung, Beschreibung und Testung schaffen es dann einzelne Auslesen in den Pflanzenhandel, im Idealfall mit einem wohlklingenden und aussagekräftigen Sortennamen. Eine formelle Registration der Sorte mitsamt Beschreibung garantieren den Züchter*innen eine finanzielle Entschädigung für ihre investierte Zeit und den Nutzer*innen und Erhaltungsorganisationen die Möglichkeit der Überprüfung der Sortenechtheit.
Der Wunsch des Menschen, alles zu kontrollieren, ist traditionellerweise gross. Doch wie wir wissen liegt es in der Natur des Lebens, dass es immer auch eine gewisse Eigendynamik entwickelt. Einige Obst-Sorten wie z.B. die Apfelsorten 'Breitacher' und 'Edelchrüsler' sind aus sogenannten Zufallssämlingen hervorgegangen, bei denen die Eltern nicht bekannt sind. Sie sind in Freiland-Kulturen entstanden und den ahnungslosen Besitzer*innen eines Tages wohl als besonders vital und wertvoll aufgefallen. Im Vergleich zur aufwändigen Zuchtarbeit ist dies eine natürliche und wenig zeitaufwändige Variante, an neue Sorten zu gelangen. Aber hier ist deutlich mehr Glück im Spiel, als bei der gezielten Züchtungsarbeit. Experimentierfreudige und geduldige Gärtner*innen können sich auch selber darin versuchen, eine neue Obst-Sorte zu kreieren.