Von Andrea Steinegger, Projektleiterin agrarökologische Sortenuntersuchung
Am Montag, 6. November 2023, findet sich ein diverses Grüppchen von Gemüse-produzent:innen, Direktvermarkter:innen, Verarbeiter:innen, Händler:innen, Gastronom:innen und Profiköch:innen in der entspannten und innovativen Wirtschaft im Franz in Zürich ein. Sie ist quasi unser «Feldlabor» an diesem Nachmittag. Wir möchten gemeinsam fünf ProSpecieRara-Zwiebeln genauer unter die Lupe nehmen – vom Anbau auf dem Feld bis zur Verarbeitung in der Küche.
Einblick in unsere Arbeit
Zuerst stellen wir von ProSpecieRara uns vor und erzählen, wo sich dieser Anlass in unserer Arbeit einordnen lässt: Viele alte Sorten sind dank ihrem ganz speziellen Charakter sehr attraktiv für die Nischenvermarktung. Mit dem Gewinnen und Teilen von Wissen über solche Sorten wollen wir ermöglichen, dass diese Raritäten (wieder) möglichst vielfältig genutzt werden. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Eignung in verschiedenen Anbauformen wie der regenerativen Landwirtschaft gerichtet. – Die ProSpecieRara-Vielfalt schätzen wir mit einem grossen Potential für solche biodiversen Systeme der Zukunft ein. (Weitere Infos zum Projekt «Alte Gemüseorten vermarkten».)
Die Veranstaltung ist auch Teil des europäischen «LiveSeeding»-Projektes, in dem der Übergang zu nachhaltigeren lokalen Lebensmittelsystemen gefördert werden soll. Um hier beizutragen, bemühen wir uns seitens ProSpecieRara um die Bereicherung der Bio-Gemüsesortimente mit attraktiven Nischensorten. Unser forschender und partizipativer Ansatz mit verschiedensten Akteur:innen und Betriebsformen und mit unterschiedlichsten Gemüsekulturen lässt uns hier von einem richtigen «Living Lab», einem «lebendigen Labor» reden.
Living-Lab-Eröffnungsanlass
So kommt es, dass dieser Montagnachmittag zur Premiere wird: Der offizielle Eröffnungsanlass zum ProSpecieRara-Gemüse-Living-Lab darf gefeiert werden. In diesem Living Lab möchten wir Interessierten die Möglichkeit bieten, spannende Sorten mit grossem Potential auf vielfältige Weise kennen zu lernen und durch den Austausch die Vernetzung verschiedener Akteur:innen unterstützen und gemeinsam Wissen zu erarbeiten – heute konkret von fünf Zwiebelsorten.
Unsere Zwiebeln im Praxistest
In Zusammenarbeit mit dem FiBL (Forschungsinstitut für Biolandbau) wurde 2023 ein Anbauversuch auf fünf unterschiedlichen Praxisbetrieben durchgeführt, um zu testen, wie unsere Sorten zum jeweiligen Betriebssystem, zu Boden, Fruchtfolge, maschineller Einrichtung und Verkaufsstrategie passen. Die ersten Resultate werden in einer kurzen Präsentation von Anja Vieweger vom FiBL vorgestellt. Es scheint, das Jahr 2023 war ein gutes Zwiebeljahr! Obwohl der nasse Frühling das Pflanzen der Setzlinge erschwert hat, sorgte das trockene, warme Wetter für wenig falschen Mehltaubefall und allgemein tiefen Schädlingsdruck bei allen Sorten. Je nach Betriebsstruktur haben sich bereits Vor- und Nachteile der einzelnen Sorten und der Kultur in diesem Jahr gezeigt. (Ab Frühjahr 2024 liegt uns dazu ein detaillierter Bericht vor. Bei Interesse an mehr Informationen kann man sich bei Andrea Steinegger melden.)
Endlich degustieren
Nach dem informativen Start der Veranstaltung, können wir uns bei der von Profikoch Pascal Haag angeleiteten Degustation nun ganz unseren Sinnen widmen. Wir probieren uns durch die fünf Sorten Rouge de Genève, Rouge de Florence, Jaune de Savoie, Piri und Braunschweiger dunkelblutrote in rohem, gedämpftem und geröstetem Zustand. Pascal teilt fachliche Erkenntnisse aus seiner Auseinandersetzung mit den Sorten und wir geben unsere eigenen Eindrücke ab. Ins Auge springt z.B. die Süsse der Sorte ‘Braunschweiger dunkelblutrote’, das ufoförmige Aussehen der ‘Jaune de Savoie’, die deshalb ganz und mit den feinen Röstaromen geröstet am besten zu Geltung kommt oder die fruchtige, würzig-scharfe ‘Piri’, die sich besonders für den rohen Verzehr eignet. Wir kommen auch zum Schluss: Längliche Sorten wie die ‘Piri’ oder ‘Rouge de Florence’ können schön in Ringe geschnitten werden oder als «Schiffli» präsentiert werden, rote Sorten wie die ‘Rouge de Florence’, die ‘Rouge de Genève’ oder die ‘Braunschweiger dunkelblutrote’ sind ein optischer Hingucker.
Ob Aromanoten wie Karamell, Meerrettich, Getreide oder Melone entdeckt werden – die Vorlieben sind, ganz wie unsere Raritäten auch, sehr individuell. Nachdem wir genug «blutti» Zwiebeln gegessen haben, kommen wir in den Genuss von eigens für unsere Zwiebeln kreierten «Häppli», die die jeweilige Sorte besonders zur Geltung bringen. Die Rezepte dazu findet man auf der ProSpecieRara Webseite unter «Rezepte».
Das World Café regt zu Diskussionen an
Gegen Ende des Nachmittags begeben sich die Teilnehmenden in Kleingruppen an Diskussionstische, für ein sogenanntes «World Café». Hier werden Fragen rund um den Anbau, die Vermarktung, den Handel und die Verarbeitung der ProSpecieRara-Zwiebelsorten, aber auch von Gemüse allgemein, das nicht dem Standard entspricht, diskutiert. Nach 15 Minuten werden die Tische gewechselt und die sehr angeregten Gespräche wenden sich dem nächsten Thema zu.
Wir stossen auf Fragen wie: «Wie wird Geschmack, z.B. Bitterkeit eigentlich bewertet?» und sprechen darüber, dass die Verfügbarkeiten in der Gastronomie eine wichtige Rolle spielen, wie Mischpakete verschiedener Sorten im Grosshandel erfolgreich sein könnten, oder dass man Zeit haben und eine geeignete Form finden muss, um die Geschichte hinter den Lebensmitteln erzählen zu können. Besonders gefreut haben wir uns über die Neugierigen, die sich bereits im Vorfeld dazu bereit erklärt haben, Zwiebeln in ihrer eigenen Küche auszutesten und ihre Erkenntnisse in die Runde zu tragen.
Zum Schluss
So ist an diesem Nachmittag viel zusammengekommen und er war reich und vielseitig. Das Feedback ist positiv und wir freuen uns sehr über das Interesse aller Beteiligten und die schöne und gemütliche Atmosphäre in der Wirtschaft im Franz. Ein gebührender Living-Lab-Eröffnungsanlass! Wir hoffen, alle Teilnehmenden können etwas von diesem Tag mitnehmen und sind angeregt, auch weiterhin «gwundrig» auf alte und seltene Sorten zuzugehen und sich dadurch mit uns für deren nachhaltige Nutzung zu engagieren. Und wir freuen uns schon auf noch mehr Neugierige bei den nächsten Anlässen!
Dieser Anlass ist Teil der Projekte «Nischenbetriebe zu speziellen Gemüseraritäten führen» und «Züchterische Weiterentwicklung von Wurzelgemüsen», welche im Rahmen des Nationalen Aktionsplans zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der pflanzengenetischen Ressourcen (NAP-PGREL) durch das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) unterstützt werden.
Mit zusätzlicher Unterstützung durch das EU-Projekt LIVESEEDING.