Der FAO-Saatgutvertrag (International Treaty on Plant Genetic Resources for Food and Agriculture) ist mit seinen 146 Mitgliedstaaten das wichtigste internationale Abkommen zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft. Für die Arbeit von ProSpecieRara ist er von entscheidender Bedeutung, da er mit einem standardisierten Materialtransfervertrag (sMTA) den Zugang zu den weltweiten Saatgutbanken regelt, auch zur Samenbibliothek von ProSpecieRara. Der Vertrag möchte sicherstellen, dass der Zugang für Züchter*innen und Forscher*innen vereinfacht, kein Material aus den Sammlungen patentiert und die Aufteilung des Nutzens umgesetzt wird.
Insbesondere das Ziel, dass ein kleiner Teil der Gewinne, welche Saatgutkonzerne mit der Nutzung der genetischen Ressourcen verdienen, in die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Pflanzenvielfalt zurückfliesst, konnte bis heute nicht erreicht werden. Um diesen Mangel zu beheben wurde vor sechs Jahren von den Vertragsparteien eine Arbeitsgruppe eingesetzt, in welche während vier Jahren auch der Autor dieses Artikels involviert war. Die Revision hatte drei Ziele:
- Eine Änderung des Materialtransfervertrages, damit in Zukunft Geld aus den Gewinnen, die aus der Nutzung der pflanzengenetischen Ressourcen generiert werden, in deren Erhaltung und nachhaltige Nutzung zurückfliesst. Dieses Geld sollte in erster Linie der in-situ und on-farm Erhaltung durch die Bäuerinnen und Bauern in den Ländern des Südens zu Gute kommen. Es waren in erster Linie diese Länder, die sich für diese Forderung stark machten.
- Um dieses erste Ziel zu erreichen, forderten die Länder des Südens, allen voran afrikanische Staaten, auch den Einbezug digitaler Sequenz-Informationen (Digital Sequence Information)1 in das Vertragswerk. Sie vertreten die Meinung, dass in der Züchtung, je länger je mehr, Gewinne aus der Nutzung digitaler Sequenz-Informationen erzielt werden, und diese deshalb ebenfalls in den Vertrag integriert werden müssen. Es sollte ja ein Vertrag für die Zukunft sein und diese wird digital.
- Das System umfasst bis jetzt 64 Nutzpflanzenarten (von den wichtigen Nutzpflanzen sind Soja, Tomaten und Erdnüsse nicht dabei). Es war der grosse Wunsch, insbesondere der Saatgutindustrie und der Länder des Nordens, das man mit der Revision das System auf alle Nutzpflanzenarten ausweitet. Denn alle Nutzpflanzen, welche nicht mit dem sMTA ausgetauscht werden, unterstehen dem Nagoya-Protokoll der Biodiversitätskonvention, unter welchem der Zugang für die Nutzer*innen um einiges komplizierter ist.
Bereits während den Verhandlungen in der Arbeitsgruppe wurde klar, dass die Vorstellungen von Nord und Süd weit auseinanderklaffen. Der Norden und die Saatgutindustrie wollten nur minime Zahlungen garantieren: 0.015% des Umsatzes. Das entspricht, bei einem Umsatz der gesamten Saatgutindustrie von 30 Milliarden, 6 Millionen Franken pro Jahr. Da sie auch noch diverse Schlupflöcher verlangten, wären mit ihrem Vorschlag wohl zwischen 1 und 2 Millionen Franken für die Erhaltungsarbeit zusammengekommen. Auf den Einbezug digitaler Informationen in den Vertrag wollten die Saatgutverbände und die meisten Industriestaaten ganz verzichten. Der Süden und die Bauernorganisationen wollten jedoch eine angemessene Aufteilung des Nutzens (Minimum 25 Millionen zu Gunsten des Fonds) und ein zwingender Einbezug der digitalen Sequenzinformationen. Die Ausweitung des Systems auf alle pflanzengenetischen Ressourcen wollen sie nur akzeptieren, wenn ihre Anforderungen erfüllt wurden.
Mit dieser Ausgangslage begannen die Verhandlungen an der Konferenz der Vertragsparteien in Rom. Bereits am vorangehenden Wochenende fanden diverse informelle Treffen statt, um in kleineren Gruppen einen Kompromiss zu finden. Bis am Mittwoch behielten die Gespräche diesen informellen Charakter und erst dann entschied sich die amerikanische Vorsitzende der Verhandlungen, eine sogenannte Kontaktgruppe einzusetzen. Doch auch diese Gruppe musste am Freitag eingestehen, dass sie keinen Kompromiss finden konnte. Am Samstag, dem letzten Tag der Verhandlungen, zauberte dann die Vorsitzende vor dem Mittagessen einen Kompromissvorschlag aus dem Hut. Die Delegierten hatten zwei Stunden Zeit für dessen Studium. In der nachfolgenden Verhandlungsrunde wurde sehr schnell klar, dass auch dieser Versuch scheitern würde. Insbesondere die Länder des Südens konnten den Entwurf, der die digitalen Sequenzinformationen nicht in den Vertrag einbezog, die Zahlungen auf 0.02% des Umsatzes festschrieb aber dennoch das System auf alle pflanzengenetischen Ressourcen ausweiten soll, nicht akzeptieren. In einer Art Trotzreaktion hat daraufhin die Europäische Union alle weiteren Verhandlungen zur Revision des Systems während den nächsten zwei Jahren blockiert.
Was bedeutet dieser Entscheid für ProSpecieRara?
Wenn heute Züchter*innen Zugang zu ProSpecieRara-Sorten möchten, müssen sie den aktuellen sMTA unterschreiben. Dies garantiert einen schnellen und einfachen Zugang und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Ebenfalls nicht ändern wird sich in absehbarer Zukunft der Fakt, dass diejenigen, welche aus der Nutzung dieser Pflanzen einen kommerziellen Gewinn erzielen, nichts an die Erhaltungsarbeit zurückgeben werden. Und es besteht die Gefahr, dass durch die Digitalisierung genetischer Informationen, all diese Daten auch ohne sMTA zugänglich und somit nicht vor der Patentierung geschützt sind. Deshalb werden wir uns auch in Zukunft für eine Revision des sMTA einsetzen.
Doch der FAO-Saatgutvertrag besteht nicht nur aus diesem multilateralen System, welches den Zugang zum Genpool regelt. In Rom wurde auch ein neues Arbeitsprogramm vereinbart, welches die weltweiten Aktivitäten für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen unterstützen soll. Eng verbunden damit sind Aktivitäten zur Durchsetzung der Rechte der Bauern, die ihre Rolle bei der Erhaltung der Vielfalt der Nutzpflanzen stärken.
ProSpecieRara nutzen die Anwesenheit von Saatgutexpert*innen und Delegierten aus der ganzen Welt, um im Rahmen eines Side-Events, gemeinsam mit unseren Partnern aus dem Dynaversity-Projekt und von Let’s Liberate Diversity, die Arbeit zu Erhaltung der Sortenvielfalt in Europa vorzustellen. Viele Zuhörer*innen waren überrascht ob der Vielfalt von Aktivitäten in Europa.
1) Der Begriff «Digitale Sequenzinformation» (DSI) kam im Rahmen der Verhandlungen der Biodiversitätskonvention auf und bezog sich zunächst darauf, dass es aufgrund technischer Entwicklungen im Bereich der Gentechnik und Biotechnologie möglich geworden ist, bestimmte Anwendungen ohne physisches Material durchführen zu können. Da je länger je mehr mit dieser Information gezüchtet wird und Gewinne gemacht werden, stellt sich heute die Frage, ob nicht auch die Verwendung von DSI (die durch Zugriff auf das Material gewonnen werden) in das System über den Zugang und die Aufteilung des Nutzens des FAO-Saatgutvertrags einbezogen werden soll.
Autor: François Meienberg, Projektleiter Politik