Die 'Hauszwetschge': zwischen Bachbefestigung und Delikatesse
Sie wird als Tafelfrucht geschätzt, als Konservenfrucht, für Kompott, als Rohware zum Brennen. Als Kuchenbelag, also als Zwetschgenwähe, und gedörrt als Dörrzwetschge, ist sie unerreichbar und einzigartig.
Schon die Römer*innen kannten die Hauszwetschge, der Name «Zwetschge» wird jedoch erstmals im 14. Jahrhundert erwähnt. Sie ist unter vielen Synonymen bekannt, in unseren Breiten meistens schlicht als «Zwetschge», auch als «Dornzwetschge». Seit dem 17. Jahrhundert ist sie in der Schweiz verbreitet. Genetisch ist sie ein Formengemisch, das meist über Wurzelausläufer, also ohne Veredlung, vermehrt wurde. In der Nordwestschweiz existieren noch Reste wurzelechter Bestände entlang von Bächen. Die Zwetschge erträgt (wie viele Pflaumensorten) zeitweilig vernässten Standort. Deshalb wurde sie früher als Uferbestockung verwendet, wobei sich verschiedene Vorteile ergaben: Befestigung der Böschung, Düngung der Bäume bei Hochwasser, Fruchtertrag. Es entstanden richtige Dornzwetschgenhecken, die sich durch die Wurzelschosser selber verjüngen und erhalten. Das Holz wurde und wird immer noch für die Herstellung von Blockflöten verwendet.
Die Hauszwetschge gedeiht am besten in Böden mit ausreichender Feuchtigkeit, zeigt sich jedoch anpassungsfähig an Boden und Klima. Die verschiedenen Typen unterscheiden sich in Fruchtgrösse, Reifezeit, Fruchtform, innerer Qualität sowie Boden- und Klimaanprüchen. Trotzdem sind sie alle sehr ähnlich. Die Reifezeit ist je nach Typ und Anbaulage von Anfang September bis Ende Oktober.
Die Früchte färben sich braunviolett bis schwarzblau, sie sind stark beduftet (Wachsschicht auf der Haut). Die Grösse ist mittel, bei überreichem Behang auch klein. Die Frucht ist länglich eiförmig geformt. Das Fruchtfleisch ist grüngelb bis orangegelb, ziemlich fest und aromatisch, mit typisch würzigem Zwetschgengeschmack. Dazu müssen die Zwetschgen am Baum ausreifen. Aus logistischen Gründen werden heute meist unreife Früchte in den Handel gebracht.
Der Wuchs ist nur in der Jugend stark, später mässiger, im Alter muss der Verkahlung bezw. Vergreisung durch verständigen Schnitt entgegengetreten werden. Die Leitäste stehen steil, das Fruchtholz hängt. Die Kronenform ist spitzpyramidal bis hochkugelförmig, je nach Typ und Erziehung. Die selbstfertile Blüte erscheint spät, ist empfindlich gegen Nässe und Kühle. Bei allen Pflaumen- und Zwetschgensorten ist die geöffnete Blüte wie ein offener Kelch, sodass es hinein regnet. Der Baumschulist und Steinobstpomologe Friedrich Walti, Dürrenäsch, sagt jeweils, dass es den Pflaumen «in die Ohren regnet». Aus diesem Grund trägt die Hauszwetschge nicht jedes Jahr, manchmal nur jedes dritte Jahr. Dafür kann’s dann ein Zwetschgenjahr geben, wenn im Spätherbst nach Blattfall noch unbeerntete Bäume weithin zwetschgenblau leuchten.
Früher wurden grosse Ernten gedörrt, meistens in der Öffnung der «Chunscht» (Sitzofen) oder im Backofen. Dazu wurden die Zwetschgen möglichst lange am Baum belassen, bis sie schrumpften. Geschmacklich sind sie dann noch besser und das Dörren dauert nicht mehr gar so lange. So ausgereift geerntet, kunstgerecht gedörrt und fachmännisch gelagert, stellen die getrockneten Zwetschgen ein nahrhaftes, köstliches und Jahre haltbares Nahrungsmittel dar. Ich selber erntete schon grosses Lob für meine getrockneten Hauszwetschgen. Diese hatten schon 5 Jahre dunkel und kühl in Schraubgläsern verweilt! Grosse Erträge werden heute mit Vorteil entsteint eingefroren, die gefrorenen Zwetschgen als Kuchenbelag portionenweise verwendet. Wer eine Zwetschgenwähe mit Rahm gluschtig findet oder gerne auf Winterwanderungen Dörrzwetschgen kostet, der soll einen Hauszwetschgenbaum pflanzen!
Frits Brunner, Obstsortenkenner