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Holt die Bullen!

Ohne genügend Zuchtstiere steuern Erhaltungsprojekte in die Sackgasse. ProSpecieRara fördert deshalb zusammen mit den Zuchtvereinen deren Aufzucht und Haltung. Was es braucht, um umgängliche Bullen aufzuziehen und wie viel Herzblut in dieser Arbeit steckt, zeigt ein Augenschein auf einem Zuchtbetrieb.

Die Stierenaufzucht benötigt Platz und Erfahrung im Umgang mit den Tieren. Für die Erhaltung der gefährdeten Rinderrassen ist sie eminent wichtig.

Dominik und Franziska Zettel engagieren sich nicht nur mit ihrer Tierhaltung für das Rätische Grauvieh, sie sind auch Experte und Aktuarin im Verein Rätisches Grauvieh Schweiz.

Hanibal ist dank achtsamer Haltung ein ebenso stattlicher wie umgänglicher Zuchtstier und trägt zur genetischen Vielfalt seiner Rasse bei.

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Von Philippe Ammann, Bereichsleiter Tiere

Das Wetter spielt nicht mit an diesem Frühsommermorgen, als ich im Nieselregen den kurvigen Weg zum Hof von Franziska und Dominik Zettel fahre. Das Paar hält seit fast acht Jahren Rätisches Grauvieh. Mit über 50 Jung-, Zucht- und Masttieren führen sie einen der grösseren Betriebe mit dieser Rinderrasse. Als Franziska und Dominik den Biohof bei Grafenort übernahmen, stellten sie von der Milchwirtschaft auf Mutterkuhhaltung um und schnell war klar, dass sie eine vitale, einheimische Rinderrasse züchten möchten. Die Wahl fiel auf das Rätische Grauvieh, das mit seinen etwas kleineren, sehr geländegängigen Tieren bestens geeignet ist für das Nidwaldner Berggebiet.

Aber bevor ich die robusten Grauen zu Gesicht bekomme, muss ich in den Hügeln den Stall finden, wobei sich mein Navi als nur halbwegs hilfreich entpuppt. Ein Telefonanruf und ein Winken aus der Ferne später kann ich in meine Stiefel steigen und den Stall erkunden. Im hinteren Teil erspähe ich das Züchterpaar zusammen mit einem Tierarzt, dessen rechter Arm gerade komplett in einer Kuh verschwunden ist. Er ist zur Trächtigkeitskontrolle gerufen worden und ertastet routiniert die nächste Grauviehgeneration. Die drei letzten Untersuchungen, die ich noch mitverfolgen kann, sind allesamt positiv und sorgen für Freude, denn jeder Nachwuchs ist bei der raren Rasse gefragt.

ZUCHTSTIER STATT GEFRORENES SPERMA

Auf Zettels Hof sind Zuchtstiere im Einsatz. In der heutigen Zeit, in der die künstliche Besamung (KB) mit tiefgefrorenem Sperma gang und gäbe ist, ist dies gar nicht mehr selbstverständlich. Für Dominik und Franziska ist KB jedoch keine Option. Das Künstliche liegt ihnen nicht und weil sie beide auch auswärts arbeiten, würde das Besamen für sie zusätzlichen Stress bedeuten. Denn wird eine Kuh stierig, bleibt sie das nur etwa einen halben Tag lang. Das bedeutet jedes Mal eine kleine Notfallübung: Der Besamer muss avisiert und der KB-Stier ausgewählt werden, damit alles rasch über die Bühne gehen kann. Weil das Rätische Grauvieh keine verbreitete Standardrasse ist, ist zudem die Verfügbarkeit vor Ort von Sperma von passenden Stieren nicht immer gegeben. All das fällt beim Natursprung weg. Aber auch die Harmonie im Stall profitiert von der Anwesenheit eines Stiers. «Läuft der Stier mit den Kühen, haben wir eine viel ruhigere Herde», erläutert Dominik und stellt mir Hanibal, einen imposanten Bullen, vor. «Er besucht verlässlich jede stierige Kuh und verhindert damit, dass die Kühe sich gegenseitig besteigen.» Das tun sie, wenn kein Stier mitläuft, und sorgen so für Unruhe im Stall. Der fast vierjährige Stier macht einen gutmütigen Eindruck und so kann ich zu ihm ins Gehege. Dass dem so ist, hat viel mit der Haltung zu tun. Regelmässiger Kontakt und Üben mit dem Halfter, niemals Stockschläge und eine konsequente Linie sind wesentlich, um umgängliche Bullen im Stall zu haben. «Aber es ist auch wichtig, den Charakter der Stierenmutter anzuschauen», sagt Dominik. «Von einer nervösen oder aggressiven Kuh ein Stierenkalb aufzuziehen, ist kein guter Plan.»

WICHTIGE ALTERNATIVE ZUR KÜNSTLICHEN BESAMUNG

ProSpecieRara hatte in früheren Zeiten Vorbehalte gegenüber der KB, vor allem deshalb, weil sie dazu führen kann, dass weniger Zuchtstiere für den Natursprung gehalten werden. Mittlerweile ist die KB Teil der Erhaltungszucht, da sie auch für gefährdete Rassen Vorteile bringt (siehe rara 2021/4). Für die Bewahrung der genetischen Vielfalt bleibt der Natursprung jedoch zentral. Daher betreibt ProSpecieRara Förderprojekte zur Stierenhaltung und engagiert sich aktuell mit dem Verein Rätisches Grauvieh Schweiz und dem Evolèner-Zuchtverein für die Vatertieraufzucht und -haltung. Denn vor allem auch bei der Eindämmung der Inzucht spielt die Anzahl männlicher Tiere eine wichtige Rolle (siehe Kästchen). Franziska und Dominik leisten mit ihrer Arbeit einen grossen Beitrag an die gesunde Erhaltung der Rätischen Rasse. Indem sie Stiere ausleihen und verkaufen, helfen sie auch anderen Zuchtbetrieben dabei, vielfältige Genetik einzusetzen. So sind Hanibals Söhne Sinalco und Bax gerade auswärts auf Liebeseinsatz. Ich schiesse ein letztes Bild von Hanibal und fühle mich einmal mehr bestärkt darin, dass die Aufzucht von Stieren nicht nur sehr wichtig, sondern mit dem nötigen Einsatz und Feingefühl durchaus auch machbar ist.


Effektive Population – jedes Stierli zählt

Es nützt nichts, viele weibliche Tiere zu halten, wenn es ihnen gegenüber nur wenige männliche Tiere gibt. Denn mit wenigen Männchen und vielen Weibchen kann es zwar viele Nachkommen geben, diese sind aber alle über ihre gemeinsamen Väter miteinander verwandt. Dies kommt aus Sicht der genetischen Vielfalt einer viel kleineren Population gleich, als man aufgrund der Anzahl Tiere meinen könnte. Der Wert der effektiven Populationsgrösse gibt an, wie klein man sich die tatsächliche Population vorstellen muss, die noch die gleiche genetische Breite hat. Je höher der Anteil Männchen, desto grösser ist die effektive Population. Die Förderung der Vatertierhaltung ist deshalb von zentraler Bedeutung. Sie wurde und wird in der Erhaltungsstrategie und in Projekten von ProSpecieRara seit jeher entsprechend gewichtet.